Politik Justiz Medizin-Skandal.
Rostocker Skandal-Arzt: Warum der Prozess gegen Thomas R. scheitern könnte.
Spektakuläre Wende im Prozess gegen den Rostocker Neurochirurgen: Weil er offenbar in der Schweiz neue Taten verübte, sitzt er in Zürich in U-Haft. Die Rostocker Justiz und seine Opfer hoffen auf eine Auslieferung.

Rostock/Zürich,- Neues Kapitel in einem der größten Medizin-Skandale in Mecklenburg-Vorpommern: Der Rostocker Neurochirurg Thomas R. sitzt in der Schweiz in Untersuchungshaft. Zugleich ist der 56-Jährige die Hauptperson bei einem Großprozess am Rostocker Landgericht. Seit April 2018 muss sich der Mediziner wegen schwerer Körperverletzung verantworten. Seinen bisher letzten Auftritt hatte er hier am 18. Oktober. Unter Hochdruck bemüht sich die Mecklenburger Justiz um eine Auslieferung des Angeklagten. Bei einer längeren Unterbrechung wäre der Groß-Prozess geplatzt und müsste noch einmal aufgerollt werden. Unzählige Zeugen und Gutachter müssten alle noch einmal aussagen. Der Prozess stand kurz vor dem Abschluss.
Was ihm die Schweizer Justiz vorwirft, bleibt offen. Zuständig für die Verhaftung ist das Kanton Zürich. „Aus Gründen des Persönlichkeitsrechts machen wir bei Festnahmen keine weiteren Angaben“, sagte eine Sprecherin der zuständigen Kantonspolizei am Freitag der OZ. Im Rostocker Landgericht geht man davon aus, dass es sich um neue Vorwürfe handelt. R., der seinen Namen geändert hat und früher M. hieß, ist in der Region Zürich kein Unbekannter.

Mit gefälschten Papieren in die Schweiz.
Rückblende: In der kleinen Stadt Hörgen am Zürichsee hat er 2013 und 2014 eine Schmerzpraxis. In Deutschland ist ihm da bereits nach massiven Vorwürfen die Kassenzulassung entzogen worden, Staatsanwälte ermitteln wegen Betrugs und Körperverletzung. Um in der Schweiz arbeiten zu können, fälscht er eine deutsche Unbedenklichkeitsbescheinigung. Das fliegt auf, R. darf nicht mehr in der Schweiz praktizieren.
Krankenkassen um 1,5 Millionen Euro betrogen.
Zurück in Deutschland steht er wenig später das erste Mal vor dem Landgericht. Weil er die Krankenkassen mit falschen Abrechnungen um 1,5 Millionen Euro prellte, muss der Mediziner für vier Jahre und sieben Monaten ins Gefängnis. Knapp vier Jahre später sitzt er erneut auf der Anklagebank, es geht um Behandlungsfehler.
Kristina M. aus der Nähe von Neubrandenburg wurde 2010 von M. operiert. Es gab massive Komplikationen, seitdem sind mehrere Halswirbel der 47-Jährigen versteift, sie kann den Kopf nur eingeschränkt bewegen, ist berufsunfähig und zu hundert Prozent schwerbehindert. Ihr altes Leben ist zerstört, sagt sie. Bei der Operation, die nach Ansicht anderer Ärzte völlig überflüssig war, drehte ihr M. unter anderem eine Schraube ins Kleinhirn. Ihr Fall ist es, der in dem Rostocker Prozess behandelt wird.
Arzt fiel bereits 2003 auf.
Es ist nicht der Einzige. Seit 2002 führte M., beziehungsweise R., in seiner Rostocker Praxis Operationen durch, unter anderem an der Wirbelsäule. Bereits im Jahr darauf fällt an der Rostocker Uni-Klinik die Arbeit des Kollegen aus Lütten Klein durch falsche Diagnosen, schlechte Hygiene und schwere Behandlungsfehler auf. Die Kassenärztliche Vereinigung erstattet 2009 Anzeige wegen Abrechnungsbetrug und Körperverletzung. Die Ermittlungsbehörden verfolgen zunächst nur den Betrug, die anderen Vorwürfe seien zu unkonkret gewesen, begründete später die Rostocker Staatsanwaltschaft. Im Jahr nach der Anzeige liegt Kristina M. auf dem Operationstisch des Doktors. Sie warf der Justiz 2014 eine Mitschuld an ihrem Schicksal vor: „Das war Schlamperei.“
„In den Rollstuhl operiert“.
Mehrere Patienten mit ähnlichem Schicksal wie die Neubrandenburgerin meldeten sich bei der OZ. Eine Rostockerin wurde mit Anfang 20 nach einer Operation fast zum Pflegefall. Bei der Zivilkammer des Landgerichts Rostock machten zeitweise 15 Patienten Ansprüche auf Schadensersatz gegen R. geltend. Allein ein Hamburger Anwalt vertrat acht Patienten. Viele tauchten nirgendwo auf. Wie etwa die damals 85-jährige Hannelore P. von der Insel Rügen, die nach eigenen Angaben von M./R. „in den Rollstuhl operiert“ wurde. Für eine Klage gegen den Arzt habe ihr das Geld gefehlt.
Ob Thomas R. in der Schweiz wieder als Arzt arbeiten wollte, ist offen. Auf legale Weise ginge das jedenfalls nicht. Der Rostocker habe keine „Berufsausübungsbewilligung“ beantragt, teilt Sprecher Marcel Odermatt von der Züricher Gesundheitsdirektion mit. Die aufsichtsrechtliche Untersuchung wegen der gefälschten Dokumente von 2014 wurde eingestellt. In dem Rostocker Prozess, der nun auf der Kippe steht, hatte die Staatsanwaltschaft acht Jahre Haft und ein lebenslanges Berufsverbot gefordert. R. bestritt die Vorwürfe.
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